Wann braucht ein Wildtier wirklich Hilfe?

Unser Tierheimleiter und Wildtier-Experte Stephan Scheidl im Interview.

Ob ein Wildtier Hilfe benötigt, hängt von vielen wichtigen Faktoren ab: Wildtiere benötigen Hilfe, wenn sie sich in einer akuten Gefahrensituation befinden, sichtlich verletzt oder erkrankt sind oder die Jungtiere offensichtlich verwaist aufgefunden wurden. Zudem benötigen Jungtiere menschliche Hilfe, wenn sie nackt und unbehaart oder unbefiedert außerhalb des schützenden Nestes aufgefunden werden.

Beim Fund von in Not geratenen Wildtieren ist es anzuraten, direkt Kontakt mit Experten aufzunehmen und die weitere Vorgehensweise abzuklären. Hierfür bieten wir eine kostenlose Notfallnummer an. Unsere Tierschutzberater  stehen rund um die Uhr unter 01 699 2450 zur Verfügung und stimmen die weitere Vorgehensweise zum Wohle der Tiere gewissenhaft ab.

Immer wieder kommt es vor, dass Jungtiere aufgegriffen werden bei denen vermutet wird, dass diese Tiere verwaist sind. Diese Annahme ist vor allem bei Feldhasen häufig der Fall. Junge Feldhasen wiegen etwa 70-100g und kommen im Vergleich zu Wildkaninchen bereits vollständig behaart, mit offenen Augen und weit entwickelt zur Welt und werden vom Muttertier in einer sogenannten Sasse abgelegt. Bei der Sasse handelt es sich um eine kleine Mulde am Boden in der meist zwei Jungtiere verharren. Das Muttertier hält sich in sicher Entfernung zu den Jungtieren auf und säugt diese nur zweimal täglich. So vertrauen die Jungtiere auf ihre schützende Tarnung und sind bestens geschützt!

Ähnlich verhält es sich bei Rehen. Diese werden ebenfalls im hohen Gras abgelegt und werden nur äußerst selten vom Muttertier gesäugt, so entsteht schnell der Eindruck, das Jungtier wäre zurückgelassen und verwaist.

Diese Tiere werden auch als Nestflüchter bezeichnet und benötigen für gewöhnlich keine menschliche Hilfe und sollten in der Natur belassen werden. Die größte Gefahr für Feldhasen, Rehe oder Bodenbrüter wie Fasane, Rebhühner oder Feldlärchen ist die landwirtschaftliche Nutzung der Flächen, weshalb hier ein gezieltes Flächenmanagement bzw. Weidemanagement einen wichtigen Beitrag zum Tierschutz leisten kann.

Anders verhält es sich bei den sogenannten Nesthockern. Nesthocker sind sowohl bei Vögeln (z.B. Sperling, Schwalbe, Meise) als auch bei Säugetieren (z.B. Feldhamster, Wildkaninchen, Eichhörnchen) zu finden. Beim Vogel spricht man zudem von der sogenannten Nestlingsphase. Nesthocker kommen nackt oder kaum behaart oder befiedert, taub und blind zur Welt und benötigen intensive Versorgung durch die Mutter bzw. Elterntiere und können ihre Körpertemperatur selbst noch nicht regulieren.

Werden solche Tiere außerhalb des Nestes aufgefunden benötigen sie immer menschliche Hilfe. Nach Rücksprache mit Expertinnen sollten diese Tiere aufgenommen, vorsichtig warmgehalten und an eine geeignete Tierschutzorganisation übergeben werden. Eine Rückführung ist nur in besonderen Fällen möglich oder sinnvoll, sollte aber dennoch immer mit den ExpertInnen besprochen werden, dies ist vor allem bei Vögeln in manchen Fällen möglich.

Ein weiterer Grund, weshalb viele Jungtiere aufgesammelt werden sind sogenannte Ästlinge. Viele Vögel haben eine Nestlingsphase und eine Ästlingsphase. Die Nestlingsphase verbringen die Jungtiere von Nesthockern in schützendes Nest, diese geht bei einigen Vogelarten wie z.B. Greifvögel und Eulen, Krähen oder Amseln und Meisen über in eine Ästlingsphase. Zu diesem Zeitpunkt sind die Tiere fast vollständig befiedert und sitzen einzeln im Geäst oder auch häufig am Boden und suchen dort getrennt von ihren Geschwistern Schutz vor Fressfeinden.

Auch hier wird häufig vermutet, die Tiere wären verwaist oder unversorgt, doch diese werden weiterhin von den Elterntieren versorgt. Diese Tiere sollten in der Natur belassen werden und im Falle von drohender Gefahr z.B. durch Straßenverkehr oder stark frequentierten Plätzen nach Rücksprache mit den WildtierexpertInnen im näheren Umkreis an einem geschützteren Ort versetzt werden, sodass sie weiterhin von ihren Eltern versorgt werden können.

Besondere Vorsicht gilt bei Krähen oder auch Eulen, denn diese Tiere bewachen die Jungtiere sehr wehrhaft. Ein weiterer Beweis, dass Tiere die allein im Gebüsch sitzen nicht zwingend verwaist sind. Wichtig ist, dass alle eingeleiteten Maßnahmen mit fachkundigen Personen abgeklärt werden,
um eine bestmögliche Hilfestellung zu bieten.

Ist menschliche Hilfe notwendig, so sind diese Tiere vorsichtig zu sichern und unbehaarte oder unbefiederte Jungtiere sind auf
jeden Fall körperwarm zu halten. Die Fütterung der Tiere sollte nicht selbstständig vorgenommen werden, da nicht artgerechtes Futter häufig zu schweren
Erkrankungen der Jungtiere führen kann und zuerst die Stabilisierung des Allgemeinzustandes erfolgen muss.

Die Aufzucht der Jungtiere muss von fachkundigen Personen durchgeführt werden. Hierbei ist darauf zu achten, dass es während der Aufzucht nicht zu einer sogenannten „Fehlprägung“ kommt. Bei der Fehlprägung kommt es zu einer sozialen und sexuellen Prägung auf artfremde Individuen wie z.B. Hund oder Mensch, die eine Auswilderung unmöglich machen. Diese Probleme entstehen zumeist, wenn die Tiere ohne Kontakt zu Artgenossen aufgezogen werden oder der Kontakt zum Menschen oder anderen Haustieren zu sehr gefördert wird. Ziel einer jeden Handaufzucht ist die erfolgreiche Rückführung
in die Natur.

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