INTERVIEW: Experte Pichler zum Bärenunfall im Trentino

Wir haben Ökologe und Bärenexperte Mag. Christian Pichler gefragt, was beim Bärenmanagement im Trentino schiefgegangen ist, was wir in Österreich verbessern können und wie mit Sorgen der Bevölkerung umgegangen werden sollte.

Beim Bären-Management im Trentino scheinen Fehler passiert zu sein. Wie erklären Sie sich das und was können wir für die Zukunft lernen?

Ein gutes Management besteht aus verschiedenen Säulen. Dazu gehören ein intensives Monitoring, Präventionsmaßnahmen, um Schäden zu verhindern, der Umgang mit Konfliktfällen und eine intensive Kommunikation und Aufklärungsarbeit. Gerade bei den letzten beiden Punkten gab es sicher Versäumnisse. Hier sind die ersten Fehler bereits Anfang der 2000er Jahre passiert. Denn man weiß, dass bereits die Mutter von JJ4, die Bärin Jurka, von Menschen gefüttert wurde. Dadurch hat sie die natürliche Scheu vor dem Menschen verloren und dieses Verhalten an ihre Nachkommen weitergegeben.

Es ist also sehr wichtig, dass Bären in freier Wildbahn niemals von Menschen gefüttert werden. Es ist auch wichtig aufzuklären, wo sich Bärinnen mit Jungtieren befinden, spazierende Personen darauf aufmerksam zu machen, auf den Wegen zu bleiben, und das richtige Verhalten bei einer Bärenbegegnung zu kommunizieren.

 

Die Bärin „JJ4“ hat vermutlich einen Menschen getötet und darf vorerst (bis 27. Juni) nicht abgeschossen werden. Was wäre der beste Umgang mit auffällig gewordenen Tieren wie ihr?

Mehr als 90 Prozent der Bären im Trentino verhalten sich unauffällig. Wenn es in Ausnahmefällen wirklich zu einem auffälligen Verhalten eines Bären kommt, gibt es je nach Verhalten des Bären eine vereinbarte Vorgangsweise, die sich im italienischen Bärenmanagementplan findet.

Die Maßnahmen, die sich daraus ableiten, reichen von Beobachtung der Situation, sicherer Verwahrung von Abfällen, um Bären nicht wiederholt anzulocken, bis hin zur Entnahme von Bären. Individuen wie das Weibchen “JJ4” sollten laut diesem Managementplan jedenfalls aus der freien Wildbahn entfernt werden.

 

In Österreich kehren große Beutegreifer erst langsam zurück. Warum ist das so?

Gerade Luchse und Bären schaffen es nur eingeschränkt, ihr ehemaliges Verbreitungsgebiet wieder zu besiedeln. Das liegt einerseits an der Biologie dieser Arten. Bei den Bären wandern etwa nur die Männchen weiter ab, während die Weibchen oft in der Nähe ihres Geburtsortes verweilen. Dadurch breitet sich die Population nur langsam aus. Die nächsten Bärenpopulationen rund um Österreich befinden sich im Trentino sowie im Süden von Slowenien. Die Luchspopulationen in und rund um Österreich wiederum sind klein und isoliert. Zusätzlich sind die Lebensräume der Luchse aufgrund des hohen Bodenverbrauchs massiv zerschnitten.

Andererseits ist die Wildtierkriminalität ein wesentlicher Gefährdungsfaktor. Illegale Abschüsse waren u.a. dafür verantwortlich, dass der Bärenbestand in den Nördlichen Kalkalpen seit 2011 wieder erloschen ist. Auch beim Luchs sind illegale Abschüsse in den letzten Jahren nachgewiesen worden.

 

Sie und der WWF sprechen sich für ein besseres Bären-Management in Österreich aus. Was müsste verbessert werden?

Zunächst einmal bräuchte es ein besseres, österreichweit abgestimmtes Monitoring. Der Ausbau von Präventionsangeboten ist ebenfalls wichtig, da vorbeugende Maßnahmen helfen, Konflikte zu verringern. Managementmaßnahmen wie Herdenschutz, der Schutz von Bienenstöcken und die sichere Verwahrung von Abfällen könnten wesentlich zur Akzeptanz von einwandernden Bären beitragen.

Kritisch zu sehen sind auch rechtliche Ausnahmen vom Schutzstatus, wie eine Verordnung für große Beutegreifer in Tirol, die nicht im Einklang mit EU-rechtlichen Vorgaben ist (lesen Sie HIER wie Verordnungen gegen EU-Recht verstoßen!). Wichtig ist auch den Dialog zwischen den Interessensgruppen zu fördern, um bestehende Konfliktpotenziale zu minimieren. Partizipationsansätze wie Runde Tische, Arbeitskreise, Dialoggruppen etc. sollten deshalb von den Behörden eingerichtet bzw. unterstützt werden.

 

Große Beutegreifer sind mittlerweile zu einer hitzigen politischen Debatte geworden. Wie soll mit Wut und Angst der Bevölkerung umgegangen werden?

Die Sorgen und Ängste müssen ernst genommen werden. Doch statt Stimmung gegen europaweit geschützte Tiere zu machen, wie es derzeit von manchen Politiker:innen gemacht wird, braucht es eine sachliche Diskussion und seriöse Informationen. Ein gutes Management setzt außerdem auf die Verhinderung von Schäden durch die Förderung von Präventionsmaßnahmen.

 

Was ist Ihre Botschaft an unsere Leser:innen?

Bär, Luchs und Wolf erfüllen wichtige ökologische Funktionen in unserer Natur, indem sie u.a. dazu beitragen, das Wild fit zu halten, Krankheiten unter den Wildtieren, die auch für den Menschen gefährlich sein können, einzudämmen oder Samen zu verbreiten. Die drei großen Beutegreifer –  Wolf, Bär, Luchs – sind Teil einer intakten Natur und auf diese sind auch wir Menschen angewiesen.

Mag. Christian Pichler ist Ökologe beim WWF Österreich und für nationale Artenschutz-Themen zuständig. Schwerpunktmäßig beschäftigt er sich mit Konfliktarten, insbesondere den großen Beutegreifern Bär, Luchs und Wolf.

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