Tierschutz – Alles mit Recht?

Haben Sie gewusst, dass Landtage und Regierungen in Österreich wissentlich gegen europäische Völkerrechtsvereinbarungen verstoßen? Was die EU dagegen unternimmt, wie wir von Tierschutz Austria uns direkt in Österreich wehren und wie absurd juristische Institutionen argumentieren, erfahren Sie hier.

Auf einen Blick:

  • Regierungen und Landtage umgehen NGOs  in Umweltangelegenheiten wissentlich
  • Österreich verstößt damit gegen EU-Recht 
  • Deswegen laufen mehrere Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich

Um geschützte Tiere zu töten, sind Einzelfallprüfungen vorgeschrieben

Die Naturschutz- und Jagdgesetze der einzelnen Bundesländer, das bundeseinheitliche Tierschutzgesetz, die Flora-Fauna-Habitats Richtlinie und die Aarhus-Konvention der EU – all das und mehr regelt in Österreich den Umgang mit unseren tierischen Mitlebewesen. Wolf, Fischotter und Co. sind beispielsweise geschützte Arten nach den einzelnen Naturschutzgesetzen und der Flora-Fauna-Habitats(FFH)-Richtlinie der EU. Auf Drängen der konventionellen Österreichischen Jägerschaft wurden aber viele streng geschützte Tiere, die eigentlich nur in den Naturschutzgesetzen der Bundesländer angeführt werden sollten, auch in den Jagdgesetzen aufgenommen. Dort sind sie zwar dauerhaft geschont und damit nicht regulär bejagbar, aber es ergeben sich damit nun leider verschiedene Möglichkeiten auch geschützten Tieren an den Kragen zu gehen. Dazu später mehr.

Der juristisch korrekte Weg für die „Entnahme“ (übersetzt aus der „Jägersprache“ bedeutet dies die Tötung) streng geschützter Tiere wie Wolf und Fischotter wäre über die Naturschutzgesetze der Bundesländer. Diese setzen die FFH-Richtlinie der EU in nationales Recht um und dürfen ihr nicht widersprechen. Vor jedem Abschuss ist laut der FFH-Richtlinie im Einzelfall genau zu prüfen, ob nicht gelindere Mittel als die Tötung möglich sind, um von Landwirtschaftskammern, Fischereiverbänden und Jägerschaft vorgebrachte Probleme zu lösen. Das wären für den Wolf etwa geeignete Herdenschutzmaßnahmen (Weitere Informationen zum Wolfsmanagement HIER in unserem Interview mit Wolfsexperte Prof. Kurt Kotrschal).

Obwohl verpflichtend zuerst lebenserhaltende Maßnahmen vorgesehen sind, wird die FFH-Richtlinie hierbei meist nicht eingehalten. Außerdem müsste jeder Maßnahme ein wissenschaftliches Monitoring vorausgehen. Dieses fehlt meistens. Stattdessen wird sich oft auf Schätzungen bezogen, die mitunter von der Jägerschaft selbst stammen. Erst wenn alle Maßnahmen (die EU hat diese im 2021 aktualisierten Leitfaden konkretisiert) versagen, dürfen laut der FFH-Richtlinie sogenannte Entnahmebescheide, konkret auf den Einzelfall bezogen, erlassen werden [1].

Anerkannte Umwelt-NGOs haben Parteistellung in Umweltangelegenheiten

Bei den Entnahmebescheiden kommt eine zweite wichtige Regelung mit ins Spiel. Mit der Aarhus-Konvention von 1998, hat jede Person Rechte im Umweltschutz. Dazu gehört ein Informationsrecht, aber auch, dass die Öffentlichkeit bei umweltbezogenen Entscheidungen miteingebunden werden und Zugang zu gerichtlichen Überprüfungen bekommen muss. Auch Österreich hat diesen völkerrechtlichen und damit juristisch bindenden Vertrag 2005 ratifiziert [2].

Die Umsetzung hat zwar lange auf sich warten lassen, aber nach Beginn eines Vertragsverletzungsverfahrens von Seiten der EU wurde 2018 schließlich doch ein kleiner Passus in die meisten unserer Naturschutzgesetze eingefügt [3]. Anerkannten Umweltorganisationen, wie dem Wiener Tierschutzverein (Tierschutz Austria), wurden in den Naturschutzgesetzen sogenannte Parteistellungsrechte eingeräumt. Das heißt, wir dürfen in Umweltschutzbelangen, zum Beispiel dem Artenschutz, bei jener Behörde, die unserer Ansicht nach zu Unrecht einen (Abschuss)Bescheid erlässt, Beschwerden einbringen. Die verhängten Bescheide und unsere Beschwerden dagegen müssen dann vom jeweiligen Landesverwaltungsgericht überprüft werden.

Bekanntes Beispiel sind Entnahmebescheide für Wölfe. Meist stellt sich während der Prüfung heraus, dass zum Beispiel noch kein ausreichender Herdenschutz umgesetzt worden ist. Damit ist die Tötung nicht gerechtfertigt und die Gültigkeit des Bescheids erlischt [4]. Das Recht auf Parteistellung in Umweltangelegenheiten ist deshalb eines unsere wichtigsten Werkzeuge für mehr Artenschutz und Tierwohl.

Juristische Schlupflöcher, um NGOs mundtot zu machen

Leider werden dennoch immer wieder fadenscheinige juristische Wege eingeschlagen, um anerkannten NGOs ihr juristisches Mitspracherecht in Umweltangelegenheiten zu nehmen. Beliebt sind etwa Schlupflöcher durch die Jagdgesetze. Wie eingangs erwähnt, werden in Österreich viele geschützte Tierarten auch in den Jagdgesetzen gelistet, wenn auch dauerhaft geschont. Doch die Schonzeit ist für Landesregierungen und Landtage wesentlich einfacher zu umgehen, als den Schutzstatus der Tiere über die Naturschutzgesetze auszuhebeln. Anders als in Naturschutzgesetzen ist in Jagdgesetzen unser Parteirecht noch nicht verankert. Bescheide werden daher gerne auf Basis der Jagdgesetze erlassen, um unser Mitspracherecht zu umgehen.

Seit ungefähr zwei Jahren hat sich in Österreich außerdem eine weitere Vorgangsweise zur Umgehung des Artenschutzes etabliert: Mittels sogenannter Verordnungen (z.B. für den Abschuss von Wölfen [5]) wird die Schonzeit eines Tieres vorübergehend aufgehoben und eine fixe Anzahl an Individuen zur Jagd freigegeben. Zwar sind solche Verordnungen nur in einem eingeschränkten Zeitraum gültig, aber sie werden in Österreich beständig erneuert, um dauerhaft die Tötung geschützter Tiere zu ermöglichen. Indem anders als bei Bescheiden nicht nur einzelne Tiere zur Jagd freigegeben werden können, wird der Abschuss um einiges erleichtert. Außerdem haben wir über den Verordnungsweg ebenfalls keine Parteirechte.

Mittlerweile sind fast alle Bundesländer in Österreich dazu übergegangen, Verordnungen gegen die Schonzeit, anstatt Bescheide für die Tötung artenrechtlich geschützter Tiere zu erlassen. Wir können also nicht mehr Beschwerden gegen (Abschuss)Bescheide erheben, sondern dürfen unsere Meinung ausschließlich als rechtsunverbindliche Stellungnahme zu einer Verordnung abgeben. In den meisten Fällen wird die Tötung damit unabhängig von unserer Expertise durchgesetzt. Das hier mit Absicht gehandelt wird, zeigt auch unsere traurige Inspiration für andere Länder: Um NGOs zu umgehen, pochen deutsche Wolfsgegner:innen seit Jahren vehement darauf, den Wolf nach österreichischem Vorbild in das Jagdgesetz aufzunehmen und damit bejagbar zu machen [6], mancherorts leider mit Erfolg [7].

EU hat Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet

Doch legal ist diese Vorgehensweise österreichischer Landesregierungen nicht und es wird sogar gleich mehrfach gegen europäisches Recht verstoßen: Zum einen sieht die FFH-Richtlinie bei geschützten Tieren eine Einzelfallprüfung vor und erlaubt auch dann eine Entnahme nur, wenn zuvor alle gelinderen Mittel und Maßnahmen ausgeschöpft worden sind. In den meisten Verordnungen werden aber gleich mehrere Tiere pauschal zur Tötung freigegeben, von geprüften Einzelfällen kann also keine Rede sein. Zum anderen wird anerkannten NGOs ihr Recht auf Beteiligung bei Umweltangelegenheiten verwehrt, da wir keine Parteistellung bekommen. Das verstößt eindeutig gegen die Aarhus-Konvention und die einzelnen Naturschutzgesetze der Bundesländer.

Für die EU ist Österreichs fehlende Bereitschaft auf adäquaten Umweltschutz nichts Neues. Österreich wurde bereits wiederholt darauf hingewiesen, dass die Aarhus-Konvention endlich adäquat umzusetzen sei, weil NGOs keine ausreichende Klagebefugnis haben, um vorgenommene Handlungen oder begangene Unterlassungen in Umweltangelegenheiten vor einem Gericht überprüfen zu lassen. Es folgten deshalb auch schon Vertragsverletzungsverfahren durch den Europäischen Gerichtshof, die unter anderem mit Sanktionen enden können [3]. Sollte Österreich dabei verurteilt werden, hat dies also nicht nur negative Auswirkungen innerhalb der Union, sondern zieht auch finanzielle Folgen nach sich. Ab einer Urteilsverkündung wäre für jeden Tag der Säumnis ein Zwangsgeld zu zahlen (derzeit für Österreich: € 2.788 bis € 167.280 pro Tag) sowie einen Pauschalbetrag für die Nichtumsetzung (derzeit für Österreich: € 2.312.000) [8].

Österreich setzt auf Verzögerungstaktik, aber wir kämpfen weiter!

Letztes Jahr wurde abermals mittels eines Vertragsverletzungsverfahrens dazu aufgefordert, unter anderem die Aarhus-Konvention endlich vollständig auf nationalem Recht umzusetzen [9]. Bis jetzt wurden Verurteilungen bei europäischen Vertragsverletzungsverfahren wiederholt kurz vor knapp abgewendet, indem schließlich doch europäischem Recht nachgegeben wurde. Bestes Beispiel ist die bereits erwähnte Verankerung der Parteistellung für anerkannte NGOs in unseren Naturschutzgesetzen. Es ist davon auszugehen, dass Österreich also auch jetzt wieder abwarten und schließlich kleinschrittig nachgeben wird. Veränderungsprozesse, die immer erst eine letzte Warnung benötigen, gehen aber natürlich nur schleppend voran. Durch die hiesige Verzögerungsstrategie sind wir mittlerweile leider europäisches Schlusslicht, was die Umsetzung vieler europäischer Gesetzte angeht [10].

Der Wiener Tierschutzverein (Tierschutz Austria) geht seit Längerem dagegen vor, dass unsere Parteirechte in Umweltverfahren derart beschnitten werden. Weil wir nicht noch Jahre auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs warten wollen, haben wir uns 2022 mit einem Individualantrag als anerkannte Umweltorganisation an den österreichischen Verfassungsgerichtshof gewandt. Unser Hauptanliegen war die wiederholte rechtswidrige Verlängerung der Fischotter-Verordnung in Kärnten und damit die Umgehung unserer Parteirechte.

Anfang dieses Monats wurde unser Antrag aus formalen Gründen zurückgewiesen. Zwar war die neue Verordnung bereits im Landtag erlassen, aber noch nicht im Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) abrufbar. Als der Verfassungsgerichtshof unseren Antrag nach mehreren Monaten zu bearbeiten begann, war aber bereits eine aktuellere Fassung der Verordnung abrufbar und unser Individualantrag verlor, laut Ansicht des Verfassungsgerichtshofs, seine Gültigkeit. Der Verfassungsgerichtshof suchte demnach offensichtlich nach einer Möglichkeit unser Anliegen zurückzuweisen.

Wir bleiben jedoch dran und kämpfen um unsere Parteirechte. Jetzt wenden wir uns mit einer Beschwerde an die EU-Kommission und regen die Einleitung weiterer Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik Österreich an.

Fazit

In Zeiten des Klimawandels und Biodiversitätsverlustes ist Österreich leider weiterhin weit von einer angemessenen Umsetzung der FFH-Richtlinie entfernt. Der institutionelle Unwille, endlich europäisches Recht zu implementieren, ist schon geradezu lächerlich offensichtlich. Besonders in Artenschutzfragen werden alle juristischen Umgehungsmöglichkeiten ausgenutzt, um Entscheidungen zu verzögern und zu verunmöglichen. Trotzdem ist unumstritten, dass Österreich sich letztlich europäischem Recht beugen muss.

Wir von Tierschutz Austria werden daher weiter mit aller Kraft daran arbeiten, unsere juristischen Rechte durchzusetzen, um für den Flora-Fauna- und Habitatschutz im Rahmen der FFH-Richtlinie zu kämpfen und alle Tiere und Lebensräume zu schützen! Das Recht ist auf unserer Seite!

[1] Europäische Kommission, Generaldirektion Umwelt. 09.12.2021. Mitteilung der Kommission Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-Richtlinie 2021/C 496/01.

[2] oestereich.gv.at. Inhalt und Umsetzung der Aarhus-Konvention in der EU und in Österreich. Aktualisiert 09.01.2023. https://www.oesterreich.gv.at/themen/bauen_wohnen_und_umwelt/oeffentlichkeitsbeteiligung-im-umweltbereich/inhalt-und-umsetzung-der-aarhus-konvention-in-der-eu-und-in-oesterreich.html (aufgerufen: 04.2022)

[3] Der Standard. Laufer N, Pflügl J. Ist Österreich beim Umweltschutz säumig? 25.06.2021. https://www.derstandard.at/story/2000127696144/ist-oesterreich-beim-umweltschutz-saeumig (aufgerufen: 04.2023)

[4] MeinBezirk.at. Gericht hebt Bescheid der Pongauer Behörde auf. 14.12.2020. https://www.meinbezirk.at/pongau/c-lokales/gericht-hebt-bescheid-der-pongauer-behoerde-auf_a4398963 (aufgerufen: 04.2023)

[5] NÖ Landesregierung. 14.03.2023. Vorübergehende Ausnahmen von Verboten nach dem NÖ Jagdgesetz 1974 in Bezug auf nicht jagdbares Haarwild. LGBl. Nr. 17/2023.

[6] Wild und Hund. 21.10.2022. LJV will Wolf ins Jagdrecht überführen. https://wildundhund.de/ljv-will-wolf-ins-jagdrecht-ueberfuehren/ (aufgerufen: 04.2023)

[7] NDR. Niedersachsen nimmt den Wolf ins Jagdrecht auf. 17.05.2022. https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/Niedersachsen-nimmt-den-Wolf-ins-Jagdrecht-auf,wolf4630.html (aufgerufen: 04.2023)

[8] Wagner E M, Fasching S, Bergthaler W. Grundlagenstudie zur Aarhus Konvetion – Umweltanwaltschaften als Instrument der Umsetzung fauerer, rechtsicherer und effektiver Umweltverfahren.

[9] Europäische Kommission. Entscheidungen in Vertragsverletzungsverfahren. https://ec.europa.eu/atwork/applying-eu-law/infringements-proceedings/infringement_decisions/?typeOfSearch=false&active_only=0&noncom=0&r_dossier=&decision_date_from=&decision_date_to=&EM=AT&title=&submit=Search&lang_code=de (aufgerufen: 04.2023)

[10] OTS.at. ÖKOBÜRO: Österreich zum zweiten Mal wegen Verstoß gegen Aarhus Konvention verurteilt. 15.09.2017. https://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20170915_OTS0012/oekobuero-oesterreich-zum-zweiten-mal-wegen-verstoss-gegen-aarhus-konvention-verurteilt (aufgerufen: 04.2023)

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