Wolf: Tierschutz Austria kämpft am EuGH für Artenschutz!

Der Rechtsstreit zum Wolfschutz geht in die nächste Runde. Warum wir vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) gegen die Tiroler Landesregierung antreten, welche richtungsweisende Auswirkungen diese Entscheidung für Arten in ganz Europa haben kann und mehr – Hier!

Auf einen Blick:

  • Anerkannte Umweltorganisationen prozessieren gegen Wolfsabschuss in Tirol
  • Europäischer Gerichtshof soll weitreichende Entscheidung zu Interpretation des Wolfsschutzes treffen
  • Wolf in Österreich noch immer in einem ungünstigen Erhaltungszustand
  • Tirol sträubt sich gegen Herdenschutz und erklärt Almen als nicht-schützbar

EuGH-Interpretation der FFH-Richtlinie könnte Wolfschutz aufweichen oder bestätigen

Österreichische Landespolitiker:innen wollen den Schutzstatus des Wolfes aufweichen. Besonders eifrig sind die Kärntner und Tiroler Regierung [1]. Aktuell gilt Wolf der als streng geschützt und darf nur in Ausnahmefällen getötet werden. Die Flora Fauna Habitats-Richtlinie (FFH) regelt dafür in ganz Europa den Schutz verschiedener Arten und Habitate [2]. Leider hat auch die EU-Kommission unlängst verkündet, diesen Schutzstatus zu prüfen [3]. Die unwissenschaftliche Vorgangsweise dabei haben wir bereits scharf kritisiert (lesen Sie HIER mehr).

Jetzt soll auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Rechtsauslegung der FFH-Richtlinie für den Wolfsschutz neu interpretieren [4]. Im Zuge eines laufenden Verfahrens zum Abschussbescheid eines Wolfes aus dem Sommer 2022 hat sich das Tiroler Landesverwaltungsgericht (LVwG) an den EuGH gewandt. Dessen Auslegung der FFH-Richtlinie wird auch den zukünftigen Entscheidungsprozess der EU-Kommission zum Schutzstatus des Wolfs beeinflussen und hat damit große Bedeutung für ganz Europa.

Folgende (hier vereinfachte) Fragen sollen vom EuGH geklärt werden:

  1. Gleichbehandlung von Ländern beim Wolfschutz: Verstößt es gegen den europäischen „Grundsatz der Gleichbehandlung der Mitgliedstaaten“, dass einige Länder laut der FFH-Richtlinie Ausnahmen beim strengen Schutzstatus für Wölfe haben, während Österreich keine solche Ausnahme machen darf?
  2. Erhaltungszustand auf Länderebene: Bezieht sich der in der FFH-Richtlinie geforderte „günstige Erhaltungszustand“ einer Art auf jedes einzelne Land oder kann er auch auf ein größeres Gebiet bezogen sein, das mehrere Länder umfasst?
  3. Schaden durch Wölfe: Fällt unter den sogenannten „ernsten Schaden“, den ein Wolf anrichten und der zu seinem Abschuss führen kann, nur Schaden, der auf ein Einzeltier zurückgeht, oder sind damit auch allgemeine und zu erwartende zukünftige volkswirtschaftliche Schäden durch Wölfe gemeint?
  4. Zumutbare Schutzmaßnahmen in Tirol: Sollen Lösungen zur Verhinderung von Wolfsschäden nur aufgrund ihrer Machbarkeit oder auch aufgrund wirtschaftlicher Überlegungen geprüft werden, insbesondere in Bezug auf die Topografie, die Almwirtschaft und die Betriebsstrukturen in Tirol?

Obwohl hierzulande schon jetzt weit mehr Wölfe als im europäischen Durchschnitt zum Abschuss freigegeben werden (Angabe durch Wildtierexperte Mag. Christian Pichler) und dabei europäisches Recht verletzt wird (lesen Sie HIER wie Österreich europäisches Umweltrecht bricht), hofft die Tiroler Landesregierung durch eine für sie günstige Auslegung der FFH-Richtlinie, den Wolfsabschuss nochmals zu erleichtern. Sollte sich der Erhaltungszustand etwa nicht nur auf Österreich beziehen, könnte Österreich sich auf den Schutzbemühungen andere Länder ausruhen und unsere ohnehin sehr wenigen Wölfe vereinfacht bejagen.

Unsere vollständige Beantwortung der Fragen des EuGHs finden Sie hier:

Download

Anerkannte Umweltorganisationen kämpfen vor EuGH für Fakten in der Wolfsdebatte

Als anerkannte Umweltorganisation wurden wir Ende Oktober 2023 vor den EuGH geladen, um zusammen mit WWF, ÖKOBÜRO, Naturschutzbund und dem Umweltdachverband Stellung zu beziehen. Auch Vertreter:innen der Tiroler Landesregierung, der Republik Österreich, der EU-Kommission, des EU-Rates und der Republiken Frankreich, Finnland und Schweden waren anwesend, um ihre gewünschte Auslegung der FFH-Richtlinie zu propagieren.

Besonderer Fokus lag auf dem Zustand der hiesigen Wolfspopulation. Entsprechend der FFH-Richtlinie hat sich Österreich dazu verpflichtet, auch für den Wolf einen „günstigen Erhaltungszustand“ anzustreben. Erst wenn dieser erreicht und beibehalten werden kann, dürfte der Schutzstatus gelockert und Wölfe – so keine anderen zufriedenstellenden Lösungen anwendbar sind –vermehrt zum Abschuss frei gegeben werden.

EuGH-Verhandlung offenbart Österreichs Versäumnisse beim Wolfsschutz

Mit aktuell nur drei reproduzierenden Rudeln (Angabe durch Wildtierexperte Mag. Christian Pichler) weist Österreich unter vergleichbaren Mitgliedsstaaten den europaweit schlechtesten Erhaltungszustand beim Wolf auf. Laut des Vertreters der EU-Kommission bei der Verhandlung vor dem EuGH entsprächen 1000 Wölfe für Österreich einem günstigen Erhaltungszustand. Davon sind wir noch weit entfernt. Zuletzt meldete Österreich der EU für den Zeitraum 2013-2019 nur 6-8 Individuen in den Alpen und 23-28 Individuen in der kontinentalen Region (Lesen Sie HIER mehr dazu, wie es um den Wolf in Österreich wirklich steht!).

Trotzdem waren sowohl Vertreter:innen der Tiroler Landesregierung als auch der Republik Österreich bemüht, den Erhaltungszustand in Österreich als sehr gut darzustellen. Glücklicherweise wurden diese Behauptungen nicht zuletzt auch vom EuGH rasch infrage gestellt und widerlegt. Obwohl österreichische Vertreter:innen von zahlreichen Wölfen auf österreichischem Boden sprachen, konnten sie dem EuGH keine verlässlichen Daten zum angeblich guten Erhaltungszustand übermitteln. Letztlich musste eingestanden werden, dass der Erhaltungszustand nicht günstig sei.

Vertreter:innen von EU-Kommission und EU-Rat waren von Österreichs schlechtem Wolfsschutz sichtlich vor den Kopf gestoßen. Laut dem anwesenden Vertreter der EU-Kommission sei es inakzeptabel, wenn ein einzelner Mitgliedstaat den Schutz einer streng zu schützenden Art regelmäßig aushebele, indem man sich auf den guten Erhaltungszustand in anderen Ländern berufe. Außerdem müssten auch österreichische Behörden nachweisen, dass der Erhaltungszustand sich im Falle einer Abschussbewilligung nicht verschlechtere. Der Vertreter des EU-Rates brachte vor, dass es zudem keine sachliche Rechtfertigung einer Ausnahme für Österreich zum Wolfschutz in den Alpenregionen gebe. Eine klare Rüge gegen Österreich.

Frankreich nimmt Herdenschutz ernst

Anders als Österreich handhabt Frankreich Wolf- und Herdenschutz vorbildlich: Streng wird geprüft, ob keine andere zufriedenstellende Lösung als die Tötung eines Wolfes vorliegt. Um jagdlich einzuschreiten, muss der Erhaltungszustand der Wolfpopulation gut sein. Herdenschutz und andere Präventionsmaßnahmen werden zudem vollständig durch EU-Gelder subventioniert. Sollten dennoch Tiere gerissen werden, erhalten Landwirtinnen und Landwirte Entschädigungszahlungen [5].

Laut eigener Angaben vor den EuGH verzeichnete Frankreich im Jahr 2022 ca. 4.200 Rissereignisse und zahlte über 4 Mio. Euro Entschädigungen aus. Von einem ernsten Schaden durch einzelne Wölfe sei dennoch nicht zu sprechen. Vor dem EuGH erklärten Vertreter:innen der französischen Regierung, dass es der Logik der Prävention widerspräche, wenn „ernste Schäden“ (die Abschüsse rechtfertigen könnten) schon durch einzelne Tiere erfüllt werden würden. Unter ernsten Schäden seien Kosten zu verstehen, die der gesamten Republik wirtschaftlich schwer schaden würden. Ein einzelner Wolf könnte dies unmöglich bewerkstelligen.

Tirol kann fehlenden Herdenschutz nicht rechtfertigen

In Argumentationsnotstand kam die Tiroler Landesregierung auch bei der Diskussion, weshalb keine der im ursprünglichen Bescheidverfahren von 2022 behandelten Tiroler Almen schützbar sein sollte. Damals wurde seitens der Tiroler Landesregierung für 61 Almen nur der Abschuss als mögliche Maßnahme gegen Wolfsrisse vorgeschlagen – ohne nicht-tödliche Prävention in Betracht zu ziehen.

Um fehlenden Herdenschutz auch in Zukunft zu rechtfertigen, hat Tirol ab April 2023 alle Tiroler Almen pauschal als nicht-schützbar erklärt. Wölfe, die dort ungeschützte Tiere reißen, werden damit automatisch zum Abschuss freigegeben. Auf über 2.100 Almen sei demnach kein Herdenschutz möglich [1]. Das widerspricht jedem Naturschutzgedanken und europäischem Recht!

Dass auch in Alpenregionen erfolgreicher Herdenschutz möglich ist, zeigen hingegen ausgerechnet drei Tiroler Almen eines Pilotprojektes zum Herdenschutz. Dank dauerhafter Behirtung mit gelenkter Weideführung und geschützten Übernachtungsplätzen funktioniert Herdenschutz auf den Pilotalmen derart gut, dass dort aktuell keine Risse zu verzeichnen sind [6]. Trotzdem wurde der entsprechende Wolf aus dem Bescheidverfahren 2022 sogar in diesen Almgebieten zum Abschuss frei gegeben.

Zur seitens der Tiroler Landesregierung vorgebrachten Kostenproblematik für Behirtung und Herdenschutz meinte auch der vorsitzende Richter des EuGH, dass das Problem der Kosten seit Jahren bekannt sei – daher übernehme die EU sowohl die Kosten zur Prävention als auch für Entschädigungszahlungen. Die Mitgliedstaaten müssten nur ein entsprechendes System vorsehen, damit die Entschädigungen abgeholt werden können. Aktuell geben die österreichischen Landesregierungen ihren Landwirtinnen und Landwirten aber leider nicht die Möglichkeit rasch und unbürokratisch auf die bereits zur Verfügung stehenden Entschädigungen der Kosten zuzugreifen.

Fazit:

Nach diesen inhaltsleeren Argumenten der Tiroler Landesregierung sind wir guter Dinge, dass der EuGH den Schutzstatus der Wölfe in Österreich unterstreichen wird. Andere Mitgliedsstaaten haben bei vergleichbaren geographischen und topographischen Bedingungen eine zufriedenstellende Wolfsdichte und betreiben mittels Herdenschutz auch in Almgebieten wirtschaftlich erfolgreiche Schafhaltung.

Am 18.01.24 wird die Generalanwältin ihre Schlussanträge vorlegen, im Frühjahr 2024 kann mit einer Entscheidung des EuGH gerechnet werden. Es wird daher noch einige Monate dauern, bis der EuGH die Fragen des Tiroler Landesverwaltungsgerichts final beantwortet. Wir halten Sie aber natürlich am Laufenden!

Artenschutz durch ein Bundes-jagdgesetz!

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[1]        „Weg zu rascher Entnahme frei –Tirol sagt Risiko- und Schadwölfen den Kampf an | Land Tirol“. Zugegriffen: 8. November 2023. [Online]. Verfügbar unter: https://www.tirol.gv.at/meldungen/meldung/weg-zu-rascher-entnahme-frei-tirol-sagt-risiko-und-schadwoelfen-den-kampf-an/

[2]        Europäischer Rat, Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen. Europäischer Rat, 1992. Zugegriffen: 9. November 2023. [Online]. Verfügbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:31992L0043

[3]        Europäische Kommission, „Wölfe in Europa: Kommission fordert die lokalen Behörden auf, die bestehenden Ausnahmeregelungen in vollem Umfang auszuschöpfen, und startet Datensammlung zur Überprüfung des Schutzstatus“. Zugegriffen: 6. Oktober 2023. [Online]. Verfügbar unter: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ip_23_4330

[4]        Europäischer Gerichtshof (EuGH), „WWF Österreich u.a. Rechtssache C-601/22“. Zugegriffen: 9. November 2023. [Online]. Verfügbar unter: https://curia.europa.eu/juris/fiche.jsf?id=C%3B601%3B22%3BRP%3B1%3BP%3B1%3BC2022%2F0601%2FP&nat=or&mat=or&pcs=Oor&jur=C%2CT%2CF&for=&jge=&dates=&language=de&pro=&cit=none%252CC%252CCJ%252CR%252C2008E%252C%252C%252C%252C%252C%252C%252C%252C%252C%252Ctrue%252Cfalse%252Cfalse&oqp=&td=%3BALL&avg=&lgrec=de&parties=wwf&lg=&cid=4370526

[5]        Europäische Kommission, „Mitteilung der Kommission Leitfaden zum strengen Schutzsystem für Tierarten von gemeinschaftlichem Interesse im Rahmen der FFH-Richtlinie“, Okt. 2021.

[6]        J. Gitterle, „Herdenschutz-Pilotalmprojekte 2022“, Land Tirol , Dez. 2022.

 

Weitere:

Europäisches Parlament, „European Parliament resolution of 24 November 2022 on the protection of livestock farming and large carnivores in Europe (2022/2952(RSP))“, Nov. 2022. [Online]. Verfügbar unter: https://rm.coe.int/inf45e-2022-wolf-assessment-bern-convention-2791-5979-4182-1-

Österreichzentrum Bär Wolf Luchs, „Prävention -­ Förderung“. Zugegriffen: 6. Oktober 2023. [Online]. Verfügbar unter: https://baer-wolf-luchs.at/hilfe-bei/praevention-foerderung

Large Carnivore Initiative for Europe, „Assessment of the conservation status of the Wolf (Canis lupus) in Europe“.

 

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