Österreich ignoriert Verhältnismäßigkeit bei invasiven Arten

Ende 2021 wurde das erste Review zur neuen EU-Verordnung veröffentlicht. Dabei hat sich gezeigt, dass es noch viel Luft nach Oben gibt, denn die Mehrheit der Mitgliedsstaaten hat ihre erarbeiteten Aktionspläne, um die jeweiligen Ausbreitungsursachen zu reduzieren, noch nicht ausreichend umgesetzt.

Nichtsdestotrotz sind aber auch bereits erste Verbesserungen eingetreten, was angesichts der relativ kurzen Umsetzung, überraschend und erfreulich ist. Die meisten Mitgliedsstaaten haben etwa damit begonnen, Überwachungssysteme für invasive Spezies aufzubauen und diese EU-weit zu vernetzen. Dadurch konnten Hinweise dafür gesammelt werden, dass eingeführten Beschränkungen (z.B. der angebotenen Arten im Heimtierhandel), die frühe Erkennung und Entfernung von invasiven Individuen aus Ökosystemen sowie Managementstrategien von bereits weit verbreiteten Arten Früchte tragen. Außerdem sind invasive Arten weiter in den öffentlichen Fokus geraten, wodurch auch in der breiten Bevölkerung ein größeres Problem-Bewusstsein entstanden ist.

Österreich ignoriert Verhältnismäßigkeit bei invasiven Arten

Was haben Waschbär, Nilgans, Bisam und Signalkrebs gemeinsam? Sie gehören zu den 28 von der Unionsliste erfassten und in Österreich vorkommenden invasiven Tier- und Pflanzenarten [1]. Die Unionsliste erfasst all jene Arten die von sogenannter „unionsweiter Bedeutung“ sind. Das heißt, diese Arten werden als derartig problematisch eingestuft, dass ein konzentriertes Vorgehen auf Unionsebene als nötig erachtet wird [2].

Die Unionsliste gibt also nicht Aufschluss über alle generell vorkommenden invasiven Spezies, sondern nur über jene die besonders schädlichen Einfluss haben könnten. Insgesamt sind aktuell 66 dieser „Neobiota“, also eingeschleppten Arten, auf der Unionsliste und damit in der EU zu finden. Seit der Veröffentlichung der ersten Unionsliste 2016, hat sich diese Zahl etwa verdoppelt. Ein besorgniserregender Trend, denn invasive Arten gehören heute zu den Top-5 Gründen warum die Biodiversität in Europa, aber auch global, drastisch abnimmt. Außerdem können sie starken Einfluss auf die Ökonomie und die menschliche Gesundheit haben [3].

EU-Verordnung für Management und Prävention verlangt Verhältnismäßigkeit

Da sich der Umgang mit eingeschleppten Tieren und Pflanzen als problematisch erweisen kann, wurde 2014 die EU-Verordnung 1143/2014 „Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten“ verabschiedet. Die bereits genannte und laufend aktualisierte Unionsliste der Neobiota ist dabei eines der Hauptwerkzeuge, um einen Überblick über das Vorkommen und die Ausbreitungsgeschwindigkeit von besonders problematischen Neobiota zu dokumentieren. Seit 2014 dürfen Arten der Unionsliste nun nicht mehr vorsätzlich importiert, gehalten, gezüchtet oder gar in die Umwelt freigelassen werden. Für jede Ausnahmen braucht es eigene Genehmigungen der Landesregierung [2].

Prävention von Neobioten wird von der EU-Verordnung sowohl aus ökologischer als auch ökonomischer Sicht als oberste Priorität angesehen. Sollten Arten bereits eingeschleppt worden sein, müssen Maßnahmen für eine frühzeitige Erkennung und Entfernung getroffen werden, um eine Etablierung und weitere Ausbreitung zu verhindern. Dabei soll auch bei den Managementstrategien zur Beseitigung einer Art, alle erforderlichen Maßnahmen getroffen werden, damit den Tieren vermeidbare Schmerzen, Qualen und Leiden während des Prozesses erspart bleiben [2].

Wichtig ist, zusätzlich zu betonen, dass innerhalb der EU-Verordnung das Prinzip der Verhältnismäßigkeit verordnet wurde, wonach Management von invasiven Arten sowohl tötende als auch nicht-tötende Methoden beinhalte und zuerst mildere Mittel gefordert seien [2]. Folglich gehört dazu, dass es auch erlaubt sein muss, Tiere einzufangen und umzusiedeln oder in Tierheime unterzubringen, solange gewährleistet wird, dass sich die invasiven Arten nicht weiter vermehren und ausbreiten können.

Österreich missachtet das Prinzip der Verhältnismäßigkeit

Damit sich europaweit eine Verbesserung einstellt, muss laut der Verordnung von 2014, jeder Mitgliedsstaat Aktionspläne vorlegen, welche Maßnahmen sowie entsprechende Zeithorizonte für deren Umsetzung enthalten und die mindestens alle 6 Jahre zu überarbeiten sind. Besonders wichtig ist die Ursachensuche für neu eingeschleppte Arten. Es sollen also entsprechenden Pfade über welche neobiotische Tiere und Pflanzen in heimische Ökosysteme gelangen, analysiert und Handlungspläne erstellt werden [2].

Österreich hat entsprechend der EU-Verordnung ebenfalls einen Aktionsplan erarbeitet und ihn 2017 in Brüssel vorgelegt. Hauptursachen von eingeschleppten Arten sind bei uns die Haustierhaltung, inklusive Aquaristik und Terraristik, sowie die Einfuhr von verunreinigtem Erdreich, Kies, totem Pflanzenmaterial oder von verunreinigtem Saatgut und Besatzmaterial. Auch Arten die als „blinde Passagiere“ eingeführt werden, oder aus Botanischen Gärten und Tierparks entkommen, sind von Bedeutung. Entsprechend der EU-Verordnung werden Prävention, Öffentlichkeitsarbeit und Früherkennung als die wichtigsten Maßnahmen gegen das Problem gelistet. Die Aufklärung der Bevölkerung soll beispielsweise dabei helfen, dass weniger Tiere und Pflanzen achtlos ausgesetzt werden. Auch eine erwogene Kennzeichnungspflicht für verkaufte exotische Haustiere könnte es in Zukunft erleichtern, verantwortliche HalterInnen ausfindig zu machen [4].

Aber natürlich muss auch mit den bereits vorhandenen und teilweise breit in Ökosystemen vertretenen Arten umgegangen werden. Und hier gibt es in Österreich ein großes Problem. Denn während die EU-Verordnung das Prinzip der Verhältnismäßigkeit vorgibt, ist in den Jagdgesetzen und im Österreichischen Tierschutzgesetz (§ 6 Abs 4 Ziffer 5 TSchG) weiterhin ausschließlich die Tötung von invasiven Arten vorgesehen [5]. Mildere Mittel, wie von der EU-Verordnung vorgesehen, werden damit von vornherein ausgeschlossen. Aus Tierschutzsicht ist daher wichtig zu betonen, dass bei Präventionsmaßnahmen und Management invasiver Arten sicherzustellen ist, dass den betroffenen Tieren vermeidbare Schmerzen, Qualen oder Leiden erspart bleiben und das Einfangen und Verbringen in „Haltung unter Verschluss“ (Artikel 3 Pkt 9 der EU VO) primär anzustreben ist. Die EU überlässt den Mitgliedstaaten die Wahl der notwendigen Management-Methoden. Dabei sollte jedoch der Tierschutz oberste Priorität haben, wir lehnen Tötungsmaßnahmen strikt ab. Stattdessen braucht es geeignete Lösungen wie wir mit Tieren invasiver Arten umgehen, die bereits im Land sind. Dazu gehört auch, dass sie in Tierheimen und Auffangstationen weiterhin betreut und in gute Hände abgegeben werden können.

Tierschutz Austria fordert deshalb zusammen mit anderen Tierschutz Organisationen, dass diesem Gesetz der Verhältnismäßigkeit nachgekommen wird und die aufgezählten Alternativen zur Tötung invasiver Arten in den Jagdgesetzen und im Tierschutzgesetz festgehalten werden müssen. Mehr zu unseren Forderungen hier!

Quellen:

[1] Neobiota. Die invasiven Neozoen der Unionsliste. https://www.neobiota-austria.at/ias-unionsliste/neozoen (aufgerufen: 04.2022)

[2] EU. Verordnung (EU) Nr. 1143/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2014 über die Prävention und das Management der Einbringung und Ausbreitung invasiver gebietsfremder Arten. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32014R1143&qid=1650377798635

[3] Directorate-General for Environmen. Biodiversity: progress made in halting the spread of invasive alien species but challenges remain. 13.10.2021. https://ec.europa.eu/environment/news/biodiversity-progress-made-halting-spread-invasive-alien-species-challenges-remain-2021-10-13_en (aufgerufen: 04.2022)

[4] Umweltbundesamt GmbH. Aktionsplan für die Pfade invasiver gebietsfremder Arten in Österreich. 2020. https://www.neobiota-austria.at/fileadmin/inhalte/neobiota/pdf/aktionsplan-invasive-arten.pdf

[5] Bundesgesetz über den Schutz der Tiere (Tierschutzgesetz – TSchG). https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20003541

[6] European Commision. Report From The Commission To The European Parliament And The Council. 2021. https://ec.europa.eu/environment/pdf/nature/invasive_alien_species_implementation_report.pdf

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