Listenhunde: Jeder Hund ist ein „guter Hund“

Was haben Bordeauxdogge, Ridgeback, Tosa Inu und Pit Bull Terrier gemeinsam? Sie gehören zu einer Reihe an Hunderassen, die zumindest in einem der Bundesländer Niederösterreich, Vorarlberg oder Wien zu den „Hunden mit erhöhtem Gefährdungspotential“ gezählt werden. Als Konsequenz müssen Halter:innen sogenannter „Listenhunde“ bundeslandspezifische Auflagen erfüllen. Dazu können strengere Maulkorb- und Leinenvorgaben, eine Bewilligungspflicht in Vorarlberg oder ein eigener Sachkundenachweis in Niederösterreich und Wien gehören. In der Landeshauptstadt dürfen betreffende Rassen sogar seit 2020 nicht mehr gezüchtet werden. Wissenschaft und NGOs fordern schon lange, dass diese Listen abgeschafft und durch effektive Präventionsmaßnahmen ersetzt werden [1].

Rasselisten sind weit verbreitet, aber nutzlos

Seit der Einführung der ersten Rasselisten vor teilweise mehreren Jahrzehnten hat sich in der Kognitions- und Verhaltensforschung von Hunden viel getan. Viele Mythen konnten beseitigt werden und neue Erkenntnisse liefern laufend Einblicke, worauf es bei einer harmonischen Mensch-Hund Beziehung ankommt und welche Faktoren Beißvorfälle begünstigen.

Anlässlich eines tragischen Vorfalls wurde auch die Veterinärmedizinische Universität Wien 2018 mit einer Übersicht der aktuellen rechtlichen und wissenschaftlichen Situation beauftragt. Das Ergebnis: In Österreich stehen zwischen 8 und 13 Rassen auf der Hundeliste, in Deutschland 3 bis 19. Trauriger Spitzenreiter ist die Schweiz, wo je nach Kanton 3 bis 31 (!) Rassen als Listenhunde zählen und damit pauschalisiert als bösartig abgestempelt werden. Doch alle diese Länder haben gemein, dass sich ihre Prävalenz von Beißvorfällen auch nach dem Inkrafttreten von Listenregelungen nicht von listenfreien Gebieten unterscheidet. [1].

Listenhunde sind nicht aggressiver

Angesicht der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Zusammenhang von Verhalten und Genetik einzelner Hunderassen ist die Ineffektivität der Listenregelungen auch nicht verwunderlich: Bei einer der umfangreichsten Studien zu diesem Thema wurden über 13.000 Hunde von 31 Rassen mittels Wesenstests evaluiert. Nicht nur wurden große Unterschiede zwischen Individuen innerhalb einer Rasse gefunden, es konnte auch keine Beziehung zwischen rassetypischem Verhalten und der ursprünglichen Gebrauchsfunktion, also beispielsweise der Bewachung des Hofs oder dem Einsatz bei Hundekämpfen, festgestellt werden [2]. Eine topaktuelle Studie von 2022 fand sogar heraus, das nur 9 % des Verhaltens eines Hundes durch seine Rasse bestimmt wird [3].

Vor allem das Aggressionspotential eines Hundes ist für die Listenhunddebatte relevant. Aggression gehört zu den Wesensmerkmalen eines Hundes, die im geringen bis mittleren Maße vererbt werden können. Angenommen, dass von Listenhunden rassetypisch mehr Gefahr ausgehen würde, müssten Listenhunde auch höhere Werte auf der Aggressionsskala erzielen als andere Hunde. Dem widerspricht, dass zwischen verschiedenen Hundetypen keine Unterschiede bei Spielfreude, Neugier, Freundlichkeit und Aggressivität gemessen werden konnten [2]. Für gängige Listenhunde wie Pitbull und Rottweiler wurde zudem kein überdurchschnittliches Gewaltpotenzial ermittelt [1]. Listenhunde sind folglich per se nicht aggressiver. Sie neigen weder in erhöhtem Maße zu Gewalt, noch machen sie ihre ursprünglichen Einsatzgebiete gefährlicher als andere Vierbeiner.

Warum kommt es dennoch zu Unfällen?

Dass dennoch manche Hunde auffällig werden, hängt viel von äußeren Einflussfaktoren ab. Dazu gehören die Aufzuchtbedingungen des Wurfes und die ersten Erfahrungen, die die Tiere beim Züchter gemacht haben. Vor allem aber die Sozialisierung bei den Besitzer:innen und die dort angewandten Trainings- und Beschäftigungsmethoden sind entscheidend. Aversive Trainingsmethoden, also beispielsweise direkte Konfrontation oder Bestrafung, können Aggressions- und Angststörungen nachweislich steigern. Letztlich beeinflusst sogar der Charakter der Besitzer:innen und deren Interaktionsstil mit ihren Hunden, wie Hunde während stressiger Situationen reagieren [1].

Abgesehen von der Vorgeschichte des Hundes spielt bei jedem Unfall auch das Handeln der beteiligten Menschen eine Rolle. Videoanalysen konnten bestätigen, dass fast Dreiviertel aller Hunde vor Beißvorfällen deutlich Unwohlsein und Konflikt-vermeidende Signale kommuniziert haben. Werden diese deeskalierenden Signale ignoriert oder übersehen, steigert sich also die Wahrscheinlichkeit, dass Hunde zu deutlicheren Maßnahmen greifen müssen. Hier anzusetzen, dürfte deutlich mehr Erfolge bringen als ein breiter Generalverdacht gegen einzelne Rassen.

Deutschland erkennt die Verantwortung bei den Halter:Innen

Zusammengefasst ist die gepriesene Notwendigkeit von Rasselisten weit von der Realität und vor allem der Wissenschaft entfernt. Die große Bandbreite an Rassen, die scheinbar willkürlich mancherorts verboten sind, in anderen, teils direkt angrenzenden Gebieten, aber ohne Auflagen erlaubt sind, hat erwartungsgemäß nicht zu einer Reduktion von Beißvorfällen geführt [1]. Daher ist es Zeit, die Ursache für Beißvorfälle nicht länger in der Genetik, sondern bei Erziehungspraktiken, Zucht und Sozialisation zu suchen.

In Deutschland sickern diese Erkenntnisse langsam auch in die Politik durch. In Niedersachsen, Thüringen und Schleswig-Holstein wurden die Rasselisten wieder gestrichen und Mecklenburg-Vorpommern gab Ende Juni bekannt, ebenfalls eine überarbeitete Hundehalter-Verordnung ohne Rasseliste umsetzen zu wollen. Während Teile Deutschlands also bereits als gutes Beispiel vorangehen, um Mensch und Tier besser zu schützen, beharren Vorarlberg, Niederösterreich und Wien weiter auf ihre nutzlosen Rasselisten. In Niederösterreich wurde sogar erst kürzlich ein neues Hundehalter-Gesetz verabschiedet, das ausführlich von Politik und NGOs diskutiert wurde. Unter anderem blieb leider auch die Kritik an den Rasselisten ungehört.

Österreich braucht einheitliche Beißstatistiken, keinen Generalverdacht

Zum Schutz von Mensch und Tier fordern wir schon lange, dass die Einschätzung, ob ein Hund aggressiv sei und warum nur im Einzelfall von ausgebildeten und tierschutzzertifizierten Hundetrainer:innen getroffen werden sollte. Diese Expertinnen und Experten müssen nach dem neuesten Stand der Wissenschaft umfassend kynologisch ausgebildet sein, wodurch ihr Urteil vielsagender ist als ein Generalverdacht.

Da gefährliches Verhalten eines Hundes nicht von seiner Rasse, sondern vor allem von seiner Haltung und damit seinen Halter:innen abhängt, sollte auch für Züchter:innen ein Sachkundenachweis eingeführt werden. Hofrätin DDr. Regina Binder, Tierrechtsexpertin an der Veterinärmedizinischen Universität Wien, bekräftigt dies in ihrem Abschlussbericht von 2019 und fordert umfassende Schulungsmaßnahmen für Erwachsene und Kinder im Allgemeinen, aber besonders für Hundehalter:innen und Züchter:innen. Zusätzlich braucht es eine flächendeckende Hundebissstatistik, für welche einheitlich geklärt werden muss, was unter einem „Biss“ überhaupt zu verstehen ist. Bei einem solchen vereinheitlichten Meldesystem müssen sowohl der Hintergrund über Opfer und Hund, als auch das Szenario und der Kontext eines Vorfalls standardisiert dokumentiert werden. Nur durch solche österreichweiten epidemiologischen Studien ist es möglich, wissenschaftsfundierte nationale Präventions- und Managementstrategien zu erstellen [1]. 

[1] Binder R & Affenzeller N. Sicherheitspolizeiliche Hundegesetzgebung in Österreich unter  Berücksichtigung der einschlägigen Bestimmungen in Deutschland und in der Schweiz. 2019. Vereinärmedizische Universität Wien.

[2] Svartberg K. Breed-typical behaviour in dogs—historical remnants or recent constructs? 2006. https://doi.org/10.1016/j.applanim.2005.06.014

[3] Morrill K, Hekman J, Li X, McClure J, Logan B, Goodman L, Gao M, Dong Y, Alonso M, Carmichael E, Snyder-Mackler N, Alonso J, Noh HJ, Johnson J, Koltookian M, Lieu C, Megquier K, Swofford R, Turner-Maier J, White ME, Weng Z, Colubri A, Genereux DP, Lord KA, Karlsson EK. Ancestry-inclusive dog genomics challenges popular breed stereotypes. 2022. https://www.science.org/doi/10.1126/science.abk0639

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