Wolf, wie gefährlich bist du wirklich?

„Problemwölfe“ sollen abgeschossen werden. Agrarlandesräte, wie Michaela Langer-Weninger, sprechen von einem wichtigen Schritt für die Sicherheit der Bevölkerung [1]. Doch hätten Sie gewusst, dass seit Jahrzehnten kein einziger Mensch in Europa durch einen freien Wolf getötet worden ist? Wie steht es also wirklich um die Bedrohung durch den Wolf? Das alles und mehr erfahren Sie hier!

Auf einen Blick:

  • Der Wolf wird von Politiker:innen als blutrünstiger Kinderschreck instrumentalisiert
  • Seit Jahrzehnten wurde in Europa niemand durch einen wildlebenden Wolf getötet
  • Alle Wildtiere müssen geschützt werden, nicht nur Elefanten und Gorillas in fernen Ländern.

Veraltetes Bild des gefährlichen bösen Wolfs wird absichtlich gezeichnet

In Tirol, Kärnten, Niederösterreich und neuerdings in Oberösterreich und Salzburg [2] werden Wölfe per illegalen Verordnungen zum Abschuss freigegeben. Das dabei EU-Recht und die Naturschutzgesetze der Bundesländer verletzt werden und bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet worden ist, macht für die Verantwortlichen keinen Unterschied (lesen Sie HIER wie Verordnungen gegen Recht verstoßen!).

Besonders erschreckend für NGOs und Wissenschaftler:innen: Entgegen allen wissenschaftlichen Erkenntnissen wird noch immer das Bild des gefährlichen bösen Wolfes gezeichnet. In Oberösterreich etwa sollen Wölfe entsprechend ihrer potenziellen Gefahr für Menschen zum Abschuss freigegeben werden. Die Landesregierung hat dafür eigens eine Broschüre veröffentlicht, in der Wölfe danach eingeteilt werden, ob sie sich z.B. ohne Provokation aggressiv verhalten und in bewohnte Gebäude eindringen würden [3]. Wie unwahrscheinlich so eine Situation tatsächlich ist, wird nicht in Zahlen dargestellt. Der Eindruck der gefährlichen Bestie ist geschaffen.

Seit Jahrzehnten kein Mensch in Europa durch Wölfe getötet

Aufbauend auf vorangegangene Studien haben Wissenschaftler:innen von NINA, dem Norwegian Institute for Nature Research, 2021 die tatsächliche Gefahr von Wölfen evaluiert. Zwischen 2002 und 2020 identifizierten sie weltweit lediglich 26 Personen, die durch Wölfe zu Tode gekommen sind, niemand in Europa [4]. Zum Vergleich, in einem kleinen Zeitraum von nicht einmal 6 Jahren starben 10-mal mehr Personen dabei, riskante Selfies zu schießen [5]! Wenig überraschend, betonen die Wissenschaftler:innen von NINA das verschwindend geringe Risiko, durch Wölfe zu Schaden zu kommen [4].

80 % der tatsächlichen Wolfsangriffe waren zudem die Folge einer Tollwutinfektion [4]. Die Wahrscheinlichkeit, in Europa auf tollwütige Wölfe zu treffen, geht dabei gegen null. Vor allem durch konsequente Impfkampagnen bei Haus- und Wildtieren wurde die Krankheit europaweit beinahe ausgerottet. Hierzulande gab es 1979 den letzten Todesfall durch ein tollwütiges Wildtier. Seit 2008 zählt Österreich offiziell zu den tollwutfreien Ländern [6].

Ohnehin schon unwahrscheinliche Wolfsunfälle durch Aufklärung weiter reduziert

Anfang 2023 veröffentlichten Bombieri et al. ihre Studie zu weltweiten Unfällen mit großen Beutegreifern. Sie analysierten neben Coyoten, Bären und Großkatzen ebenfalls frei lebende Wölfe. Dabei schlossen sie einen noch längeren Zeitraum mit ein und berücksichtigten auch den Unterschied von Ländern mit hohem zu Ländern mit niedrigerem Lebensstandard.

Auch hier wurde bestätigt: in ganz Europa verzeichnete man während der 70-jährigen Untersuchungsperiode keinen einzigen tödlichen Wolfsunfall. In den wenigen Fällen wo Mensch in Europa oder Nordamerika durch freie Wölfe verletzt worden waren (insgesamt 25 Fälle) waren so gut wie ausschließlich angefütterte und gelegentlich aktiv in die Enge getriebene Wölfe beteiligt gewesen [7].

In solchen Ländern mit hohem Lebensstandard ereignen sich Unfälle hauptsächlich als Folge menschlichen Fehlverhaltens. Die Autorinnen und Autoren halten daher fest, dass vor allem die Aufklärung der Bevölkerung darüber, wie man sich gegenüber Wildtieren am besten verhält, die ohnehin schon geringe Wahrscheinlichkeit eines Zwischenfalls effektiv weiter reduziert [7].

Andere Länder sollen keine Elefanten schießen, also müssen wir unsere Wölfe schützen

Uns ist in Europa bewusst, dass der Schutz von Arten nicht nur richtig, sondern auch wichtig ist. Europaweite Initiativen wie der Europäische Green Deal legen Fokus auf den Erhalt von Umwelt und Biodiversität, um uns eine nachhaltige Zukunft zu ermöglichen [8]. Wir wissen mittlerweile auch, dass Wölfe selbst in menschlich geprägten Kulturlandschaften positive Effekte auf das Ökosystem haben [9, 10].

Doch leider messen wir die Rückkehr potenziell bedrohlicher Arten mit unterschiedlichem Maß. Länder außerhalb Zentraleuropas koexistieren mit ihren Wildtieren teils seit jeher. Aber obwohl auch Elefanten, Nashörner, Tiger, Löwen, Menschenaffen etc. gelegentlich Konflikte und Unfälle mit Menschen verursachen, unterstützen wir aus Europa Schutzmaßnahmen in den jeweiligen Ländern und verurteilen Wilderei [11]. Wir diskutieren also hierzulande heftig über das Für und Wider großer Beutegreifer (obwohl die Wahrscheinlichkeit hier durch große Wildtiere verletzt zu werden, verschwindend gering ist) und bemühen uns anderorts Biodiversität zu erhalten [4], [7], [11].  Böse Zungen könnten behaupten, wir wollten diese wunderbaren Tiere einfach weiterhin in Dokumentationen oder auf Urlaubs-Safaris bewundern können. Vielleicht mag das auch für manche stimmen, aber einem Großteil der Bevölkerung ist mittlerweile bewusstgeworden, dass jegliche Schutzmaßnamen letztlich uns allen im Kampf gegen die Klima- und Biodiversitätskrise helfen. Dementsprechend liegt es auch in unserer globalen Verantwortung, in den eigenen Ländern für den Erhalt unserer Arten zu kämpfen.

Fazit: Den bösen Märchenwolf gibt es nicht

Aktuelle Studien zeigen abermals, dass die verschwindend geringe Gefahr der Wölfe für uns Menschen in keiner Relation zu der Aufregung über ihre Rückkehr steht. Fälle, wo Menschen in Europa durch Wölfe verletzt worden sind, sind zum einen sehr selten und resultierten zum anderen meist aus menschlichem Fehlverhalten. Gerade im Hinblick auf Klima- und Biodiversitätskrise sollte Österreich also solidarisch mit anderen Ländern sein und auf seine eigene Biodiversität achten. Der blutrünstige Meister Isegrim streift jedenfalls nirgends durch unsere Wälder.

[1]        ooe.ORF.at, „Wölfe dürfen auch in OÖ geschossen werden“, 26. Juni 2023. https://ooe.orf.at/stories/3213328/ (zugegriffen 26. Juni 2023).

[2]        S. Ruep, „Die Jagd auf den Wolf in Österreich ist eröffnet“, Der Standard, 27. Juni 2023. Zugegriffen: 27. Juni 2023. [Online]. Verfügbar unter: https://www.derstandard.at/story/3000000176376/214sterreich-bejagt-den-wolf

[3]        Amt der Oö. Landesregierung, H. Huber, M. Kopecky, G. Diwold, B. Öllinger, und K. Lettner, „Der Wolf in Oberösterreich – Informationen und Empfehlungen“, März 2023.

[4]        J. D. C. Linnell, E. Kovtun, und I. Rouart, „Wolf attacks on humans: an update for 2002–2020“, Jan. 2021.

[5]        A. Bansal, C. Garg, A. Pakhare, und S. Gupta, „Selfies: A boon or bane?“, J Family Med Prim Care, Bd. 7, Nr. 4, S. 828, 2018, doi: 10.4103/JFMPC.JFMPC_109_18.

[6]        AGES, „Tollwut“. https://www.ages.at/mensch/krankheit/krankheitserreger-von-a-bis-z/tollwut (zugegriffen 27. Juni 2023).

[7]        G. Bombieri u. a., „A worldwide perspective on large carnivore attacks on humans“, PLoS Biol, Bd. 21, Nr. 1, Jan. 2023, doi: 10.1371/journal.pbio.3001946.

[8]        „Schutz der Umwelt und der Ozeane im Rahmen des Grünen Deals“. https://commission.europa.eu/strategy-and-policy/priorities-2019-2024/european-green-deal/protecting-environment-and-oceans-green-deal_de (zugegriffen 28. Juni 2023).

[9]        J. L. Martin, S. Chamaillé-Jammes, und D. M. Waller, „Deer, wolves, and people: costs, benefits and challenges of living together“, Biological Reviews, Bd. 95, Nr. 3, S. 782–801, Juni 2020, doi: 10.1111/brv.12587.

[10]      I. Dorresteijn u. a., „Incorporating anthropogenic effects into trophic ecology: predator–prey interactions in a human-dominated landscape“, Proceedings of the Royal Society B: Biological Sciences, Bd. 282, Nr. 1814, Sep. 2015, doi: 10.1098/RSPB.2015.1602.

[11]      IUCN, IUCN SSC guidelines on human-wildlife conflict and coexistence. International Union for Conservation of Nature, 2023. doi: 10.2305/YGIK2927.

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